Internet vs Street Style – Wie das Netz die Mode revolutioniert

Es hat die Art verändert wie wir kommunizieren, wie wir uns anziehen, wie wir uns selbst betrachten und wonach wir streben. Von Cara Delevignes Thigh Gap bis hinzu Mädchen, die aussehen wie lebendige Puppen – das Internet hat die Straßen überholt und macht dem Street Style ein Ende.

Heutzutage sind wir derartig abgelenkt, wie niemals zuvor. Wir sind ständig am Handy, kriegen ununterbrochen Nachrichten bei WhatsApp und verlieren uns im Strudel von Facebook, Instagram, Twitter, Tumblr, Snapchat und was es sonst noch so gibt. Bei den Modewochen dieser Welt ist es heute genau so wichtig die Models mit dem Smartphone abzulichten und ein kleines Video vom Finale bei Vine zu posten, wie die Kleidung selbst.

Wer zu den Auserwählten zählt, die auf den begehrten Plätzen im Fashionzelt in London oder New York platz nehmen dürfen, hat eins gewiss. Ein Goodie Bag mit allerlei mehr oder weniger brauchbarem Kram und eine Steckdose unter dem Sitz. Denn das ist alles was man heute braucht. Fashion Urgestein und wohl wichtigste Modekritikerin unserer Zeit Suzy Menkes sagte kürzlich in einem Interview: „Smartphones sind auf so viele Arten fabelhaft, dass es dämlich wäre sich die Zeit zurück zu wünschen in der ein Bild nicht in einer Nanosekunde um die Erde gegangen ist. Dennoch hatte ich keine Ahnung welche Rolle Bilder spielen würden – die Aufgabe der Leute in der Modebranche, ob zu kaufen oder über Shows zu berichten, steht heute gegen eine online Jury.“

Aber hier geht es nicht nur um Fashion Weeks. Es geht darum, wie wir die Welt wahrnehmen. Wer mit seinen Freunden abhängt und gerade mal nicht das Handy in der Hand hat, merkt erst wie die Anderen auf ihre starren und nicht davon loskommen. Wenn etwas passiert, muss es bei Facebook gepostet werden. Und wenn etwas passiert und es wurde nicht gepostet, ist es dann überhaupt passiert? Die „pic or it didn’t happen“ Philosophie ist fest in unseren Köpfen verankert. Wir sind süchtig und abhängig von Likes, Comments und Shares.

Während wir früher noch vor die Tür gehen mussten und auf der Straße nach den neuesten Trends gesucht haben, begeben wir uns heute lieber bequem auf die Daten-Autobahn um das Neueste vom Neusten zu screenshotten. Es gab eine Zeit da haben die Looks der Straße die Mode revolutioniert. Egal ob Punks, Raver oder Indie-Hipster, sie alle hatten Einfluss auf die Magazine dieser Welt. Wolfgang Tillmans oder Jürgen Teller haben passend dazu die realistische Fotografie in die Glamour-Welt eingeführt. Grunge schaffte es auf die glänzenden Seiten von Vogue. The Sartorialist und Facehunter machten den Street Style zum Kern der Modefotografie.

Heute aber scheint die Straße ihren Reiz verloren zu haben. Punk wollte die Welt verändern. Jetzt ist Punk nur noch ein Motto für die MET Gala in New York, Anna Wintours alljährlicher Kostümparty für das Metropolitan Museum. Punk ist heute die Ausrede für Miley Cyrus sich ihre Haare abzurasieren und an allem zu lecken, was ihr gerade so über den Weg läuft; oder für Kim Kardashian sich in ein viel zu enges… ach lassen wir das. Die Modebranche ist süchtig nach der Jugendkultur. Der Wunsch nach ewiger Jugend ist das, was sie antreibt. Und sie folgt der Jugend wie ein hungriger Wolf seiner Beute.

Apropos Wölfe. Als sich vor ein paar Jahren ein Wolf / Hund / Tiger Trend auf tumblr etablierte, reagierte die Mode sofort. Nicht etwa super junge und trendige Labels, sondern die alteingesessenen Riesen holten sich ihr Stück vom Kuchen der Jugend. Nach Christopher Kane folgten eben Givenchy und Kenzo mit großformatigen Prints von Bluthunden oder Tigern auf Kleidern, Sweatshirts und Co. Album Cover, Poster, Musikvideos – der tumblr Trend hat den Mainstream verändert.

 

Die neuen Trendsetter

Straßentrends führen schon lange nicht mehr auf den Modeolymp. Die Trends von heute entstehen im Internet. Tumblr boys und girls sind das Herz der bunten Jugendkultur, überall auf der Welt. Hirari Ikeda aus Tokyo, Molly Soda aus Chicago und Niki Takesh aus LA zeigen uns ihre Welt, ihre selbstveröffentlichten Songs, Videos und Fotos und revolutionieren die Trendsetter Hierarchie. Ob Brooke Candys silberne Sex-Ritterrüstung oder Lana Del Reys lo-fi Clip zu Videogames – die online Bildwelten sind allgegenwärtig.

Tatsächlich entsteht ein echtes Säbelrasseln im Internet. Künstler, Modedesigner und Musiker beginnen ihre eigenen Netzwerke zu formen. Ständig stehen sie in Verbindung und beeinflussen gegenseitig ihre Ästhetik. Das passiert nicht auf der Straße. Jugendkultur gibt es überall. Teenager können sich mit gleichgesinnten zu jeder Zeit und überall auf der Welt, wo es W-Lan gibt, austauschen. Sie müssen nicht mehr im selben Viertel wohnen oder die gleichen Magazine lesen.
Der Aufstig des Profil-Selfies, von Sharing und Handy-Kameras hat die Art und Weise verändert wie wir Fotos machen. Die Straße ist nicht mehr länger der Teenager Catwalk und auch nicht die Clubs, heute ist es der Spiegel im Schlafzimmer.

Die Mode folgt der Jugend und nicht umgekehrt. Nicola Formichettis Rebranding Aktion #DIESELREBOOT ist wohl die Größte ihrer Art in der jüngeren Modehistorie und entwickelt sich um Diesels tumblr herum. Auch das New Yorker Label Proenza Schouler hat die Inspiration für ihre Spring/Summer Kollektion vom Bilder-Blogging Anbieter genommen. Unangefochtene Königin dieser Entwicklung dürfte Topmodel Cara Delevigne sein. Sie ist ein Social Media Superstar mit Millonen von Followern auf Twitter, tumblr und Instagram. Sogar Caras Thigh Gap hat einen eigenen imaginären Twitter Account mit amüsanter Bio: „@Caradelevingne works me out everyday so I can stay this perfect…“. Während die Supermodels in den Neunzigern noch vom Catwalk in die Klatschspalten kamen, kommen Menschen heute von Facebook auf den Laufsteg.

Wenn jedoch jeder durch tumblr, Facebook, Twitter oder ähnlichem Einfluss auf die Mode nehmen kann, muss man sich schon einiges einfallen lassen, um aus der Masse heraus zu stechen.
Photoshop hat unsere Vorstellung von Schönheit verändert und während manche aussehen möchten wie Models, bevorzugen es andere auszusehen wie Puppen oder Cartoon Charaktere. Der Trend der Real-Life-Dolls ist übrigens ein Produkt von Youtube Make-up Tutorial Videos. Bekannteste Vertreterin in Europa dürfte Venus Palermo sein. Porzellan-Haut, riesige Augen, blonde Haare und ein etwas anderes Schönheitsideal: Die 15-jährige Britin erfand sich selbst neu als japanisches Schulmädchen und wurde zu einem gefeierter Internetstar. Diesel Kampagnen, lebendige Puppen und Cara Delevignes Thigh Gap – da kann das, was man auf den Straßen der Metropolen sieht, schon lange nicht mehr mithalten. Das Internet hat den Street Style abgelöst, für immer.