Zum zwölften Mal fand im August das MS Dockville in Hamburg statt. Unsere Autorin ist hingefahren und hat sich dort mal umgeschaut. Warum das Dockville eine echte Perle unter den deutschen Festivals ist, lest ihr hier.
Meine Erkenntnisse nach einem Wochenende beim Dockville: In Hamburg regnet es nicht immer, die Leute sprechen sich wirklich andauern mit Dicker/Digga/Diggi an, und die Hamburger Männer lieben den maritim angehauchten Hipster-Look. Aber die wichtigste Erkenntnis von allen ist: Das Dockville darf in meinem Festivalkalender ab jetzt nicht mehr fehlen! Um ehrlich zu sein, hatte ich das Festival im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg lange gar nicht auf dem Radar. „Wieso eigentlich nicht?“ frage ich mich immer öfter an diesem Wochenende. Lag es daran, dass ich einfach nicht aufmerksam genug war oder wurde mir diese Info von meinen festivalbegeisterten Freunden bewusst vorenthalten, um diese Perle im Norden vor mir geheim zu halten? Für mich riecht das nach einer Verschwörung. Anders kann ich mir mein Versäumnis nicht erklären.
Foto: Hinrich Carstensen
Ich hatte das Dockville aus irgend einem unerklärlichen Grund in der Schublade „noch ein weiteres Großstadtfestival“ abgelegt. Und wie langweilig, unpersönlich und schlecht organisiert diese sein können, zeigt das Lollapalooza in Berlin jedes Jahr wieder aufs Neue. Aber eigentlich reicht schon ein Blick auf das Lineup des Dockville um zu sehen, dass es nicht auf den kommerziellen Mainstream sondern auf eine unglaublich abwechslungsreiche Mischung aus großen und kleinen Indie-, Pop-, Electro-, R’n’B- und HipHop-Acts setzt. Vor allem durch das Booking von Glass Animals letztes Jahr wurde ich hellhörig. Ein Festival, dass so einer talentierten aber in Deutschland immer noch relativ unbekannten Band so einen späten Slot auf der Hauptbühne zuweist, ist mutig und interessiert sich nicht nur für Charts-Erfolge, sondern vor allem für gute Musik.
Noch ein Punkt unterscheidet das Dockville von anderen Festivals in großen Städten. Es gibt einen Campingplatz. Jeder leidenschaftliche Festivalgänger weiß, Camping macht das halbe Festival. Und so holt das Dockville direkt zwei Gruppen von Festivalgängern ab. Die, die schon morgens auf dem Campingplatz mit der Party beginnen und auch in meterhohem Matsch ohne mit der Wimper zu zucken Flunkyball spielen und die, die mit Camping so gar nichts am Hut haben und nach einem langen Festivaltag lieber in einem richtigen Bett schlafen.
Foto: Philipp Schott
Nach einer langen nervigen Anreise, die vor allem daraus bestand auf der A24 im Stau zu stehen, geht es dann ab der Autobahnabfahrt Hamburg-Wilhelmsburg erstaunlich schnell und einfach. Ordnung ist das halbe Leben und das gilt vor allem bei der Organisation von Festivals. Man merkt sofort, dass der Veranstalter des Dockville jahrelange Erfahrung hat. Das kann man leider nicht von jedem Festival behaupten. Als ich endlich ankomme ist es schon dunkel und das Festivalgelände lässt sich nur erahnen. Ohne jeglichen Orientierungssinn steuere ich den nächsten Bierwagen an, um dann zu den hypnotisierenden Klängen von Bonobo erstmal in dieser Parallelwelt aus Kunst und Musik anzukommen. Mit Trettmann hat das Dockville den deutschen Rap-Star des Jahres im Lineup und genauso wird er auch gefeiert. Auf der Suche nach dem Weg zum Campingplatz stolpere ich an einer kleinen Holzbühne vorbei. Gerade läuft „I Don’t Feel Like Dancin'“ von den Scissor Sisters und der Songtitel könnte unwahrer nicht sein. Die DJs von Mis-Shapes legen eine Mischung aus Elektro-Pop und Indie-Rock auf, die das Herz eines jeden Indie-Kids der 2000er höher schlagen lässt. Der erste Festivaltag endet für mich erst früh am Morgen.
Foto: Axel Schilling
Am nächsten Tag kann ich dann endlich das Dockville auch bei Tageslicht erkunden. Das Gelände ist eine Mischung aus Industriehafen, Zauberwald und Kunstinstallation. Selten habe ich so eine große Liebe zum Detail bei einem Festival gesehen. An jeder Ecke stehen kleine oder auch große Kunstwerke, viele davon interaktiv wie zum Beispiel die Projektionen auf den Wänden der, dem Festivalgelände gegenüberliegenden, Speicher. Wo das Melt durch bombastische Schaufelradbagger und eine dystopische Atmosphäre im Nirgendwo überzeugt, besticht das Dockville durch viele kunstvoll gestaltete Ecken und maritimen Charme mitten in der Hansestadt. Überall sind kleine Dancefloors und Bars versteckt, auf denen es sich zu jeglichen Musikgenres tanzen lässt. Von Techno bis 90er-Jahre-Trash-Pop ist alles dabei. Am schönsten finde ich, dass man auf viele der umfunktionierten Schiffscontainer und selbstgebauten Holzkonstruktionen hinaufsteigen kann. Dort oben lässt es sich verweilen und das Treiben aus etwas Entfernung beobachten, wenn man zwischendurch mal eine kleine Auszeit braucht.
Foto: Philipp Schott
Der zweite Festivaltag ist vollgestopft mit großartigen Künstlern. Das bedeutet für mich, viel hin- und herrennen zwischen den vier Bühnen und gute Planung. Erstmal muss ich aber den Kater und die Müdigkeit nach nur drei Stunden Schlaf bekämpfen. Die andauernde Hitzewelle verwandelt mein Zelt ab 9 Uhr nämlich von einem erholsamen Schlafplatz in eine finnische Sauna. Sekt mit Mate auf ganz viel Eis heißt die Lösung meines selbst verschuldeten Problems. Der Kater verzieht sich ganz schnell wieder und ich bin dank der extra Portion Koffein fit für den Tag.
Los geht mein Bühnen-Hopping mit dem Auftritt meiner Freunde von Yellow Days auf der zweitgrößten Bühne. Auch wenn ich das Set dieses Jahr schon einige Male gesehen habe, ist es immer wieder schön zu beobachten, wie von Auftritt zu Auftritt und von Festival zu Festival das Publikum immer größer wird. Diesmal ist der relativ große Platz vor der Bühne gut gefüllt und immer mehr Leute bleiben stehen, als sie über den Deich neben der Bühne aufs Gelände strömen. Nicht nur ich bin fasziniert von Georges unglaublich rauer Stimme, mit der er versucht Soul und Blues einer neuen Generation näher zu bringen. Wieder ein schönes Beispiel dafür, dass Mainstream-Erfolg und Radio Hits beim Dockville nicht ausschlaggebend sind für das Booking. Schnell noch ein Bierchen mit den Jungs getrunken, dann geht es für sie auch schon weiter zum nächsten Festival und für mich zum nächsten Auftritt.
Foto: Pablo Heimplatz
Die britische Band Island zeigt gut gemachten Indie-Rock auf der kleinen Bühne im Wald und Erobique animiert die Menge mit seinen lustigen Sprüchen und seinem Hit „Urlaub in Italien“. Danach schnell wieder zurück zur kleinen Bühne und mal gucken was der Newcomer Yungblud so kann. Wie sich rausstellt, nicht viel. Nach einer Verzögerung von fast 30 Minuten, weil der Sound nicht ordentlich eingestellt werden kann, macht der Brite nichts außer andauern dramatisch in die Luft zu springen, in jedem zweiten Satz „fuck it…fuck this…fuck that…“ zu schreien und die Zunge rauszustrecken als hätte er das bei Miley Cyrus höchstpersönlich gelernt. Aber das überwiegend jüngere Publikum scheint den Auftritt zu feiern. Egal, ich muss eh weiter zu Nick Murphy aka Chet Faker, der auf der Hauptbühne direkt vor dem Headliner Alt-J spielt und mit seinem Mix aus Elektro und Soul die Zuschauer in seinen Bann zieht.
Foto: Danilo Rößger
Die Drunken Masters feiern in der Nacht eine riesige Party und gefühlt quetschen sich ALLE Festivalbesucher auf den Platz vor der Bühne. Ganz schön voll hier. Keine Ahnung, ob es am Alkohol oder der Müdigkeit liegt, aber es kommt mir so vor, als würde der Boden beben, wenn bei jedem Drop die Menge mehr oder weniger im Takt auf und ab springt. Hier bekomme ich auf einmal Platzangst und muss mir eingestehen, dass ich nicht mehr 16 bin und es mir keinen Spaß mehr macht, durch die Menge geschoben zu werden. Mit der langsam ansteigenden Müdigkeit schwindet meine Toleranz für andere Menschen immer mehr. Zeit für’s Bett.
Der Sonntag startet mit einigen Newcomern, die ich schon länger auf meinem Radar habe. Endlich habe ich die Möglichkeit, zu sehen wie sie live performen. Mahalia, Sam Fender und Mavi Phoenix liefern solide Auftritte ab. Natürlich ist da noch Luft nach oben aber Festivalauftritte sind auch gar nicht so einfach. Vor allem bei dem jungen Briten Sam Fender habe ich das Gefühl, dass er in den nächsten Jahren noch viel von sich hören lassen wird. Das Potential dafür hat er mit seinen gesellschaftskritischen Popsongs und guten Live-Auftritten auf jeden Fall.
Foto: Danilo Rößger
Für Olli Schulz ist es an diesem Abend ein Heimspiel. Der große Platz vor der Hauptbühne ist bis in die letzte Ecke vollgestopft. Jeder will den gebürtigen Hamburger und seine lustige Live-Show sehen. Den sehr witzigen und absurden Texten liegen oft aber auch ernste Themen zugrunde und so bezieht Olli Schulz, wie bei jedem Auftritt, auch dieses Mal wieder Stellung gegen Fremdenhass und Rechts. Als er dann auf einem großen aufblasbaren Hummer crowdsurft überwiegt aber wieder die gute Laune und der absurde Humor.
Beim Set von Rhye lässt sich noch einmal Luft holen für den Endspurt. Ich sitze auf den Stufen seitlich von der Bühne, trinke einen von etlichen Sekt mit Mate an diesem Wochenende und lasse mich von den zarten R’n’B Klängen des Kanadiers verzaubern. Das Highlight des Abends und vielleicht sogar des ganzen Festivals ist aber der Auftritt von The Blaze. Das französische Elektro Duo zeigt eine überragende Live Performance, die nicht nur musikalisch, sondern auch visuell begeistert. Ein perfekter Abschluss des MS Dockville 2018.